Jochen Rathmann's Bücher

Freitag, 24. Februar 2012

[OSCAR COUNTDOWN 2012] Teil 17 - The Descendants


10/10

Es ist kein Urlaubsvideo, keine Werbung für einen sonnigen Urlaub im 50. Bundesstaat der USA. Alexander Payne zeichnet poetische Bilder und zerstört dabei das Bild der Idylle. Graue Wolken hängen tief über den Inseln, der Wind fegt durch die Straßen, Regen und Stürme und eine unmittelbare Tristesse, Palmenblätter peitschen gegen Fensterscheiben statt im Sonnenschein aufzublühen. Clooneys Erzählstimme spricht über diese Bilder, auch hier sind Krankheiten Krankheiten und der Krebs schmerzt ebenso wie irgendwo anders. Es sind wahre und schöne Bilder, die Payne eingefangen hat.

Der Film ist im Vergleich mit seinen anderen Werken noch am ehesten mit „About Schmidt“ zu vergleichen, einen offensiven Humor wie man ihn aus „Election“ oder teilweise in „Sideways“ kennt, gibt es hier nicht. Dennoch ist es kein Melodram voller schnulziger Momente und Vorabendserien – Klischees. Payne erzählt eine Geschichte, die so wahr ist wie das Leben selbst und findet eine stimmige Balance zwischen Ernst und Trauer ohne künstlich auf die Tränendrüse drücken zu wollen oder dem Publikum etwas vorzumachen.

George Clooney trägt den Film, genauso wie seine Figur Matt King so ziemlich jede erdenkliche Belastung auf seinen Schultern trägt. Nach einem Wasserskiunfall liegt seine Frau im Koma, er sieht sich mit seinen beiden Töchtern konfrontiert, um die er sich noch nie alleine gekümmert hat. Dann erfährt er, dass seine Frau eine Affäre mit einem stadtbekannten Makler hatte und ihn verlassen wollte. Ganz nebenbei soll er eine Unterschrift unter ein Dokument setzen, mit dem er dem Verkauf eines familieneigenen Grundstückes zustimmt; dort soll dann eine weitere Urlaubsanlage gebaut werden. Die darüber stattfindende Begeisterung lassen die Einwohner der Insel Clooney spüren. Und in all diesem Schlamassel des Matt King blüht der Schauspieler George Clooney auf. Er findet in jeder Szene den richtigen Ton. Mal nimmt er sich zurück, dann braust er auf, ohne es zu übertreiben. Er vermittelt eindrucksvoll die Entscheidungen seines Charakters, selbst in den unglaubwürdigen Momenten wirkt das Handeln nicht unrealistisch, auch wenn vermutlich nicht jeder in solch einer Situation einen klaren Kopf behalten hätte. Er trifft die richtigen Entscheidungen.

Um ihn herum besteht ein sehenswerter, teil unbekannter Cast. Seine beiden Töchter, allen voran Shailene Woodley in ihrer ersten großen Kinorolle, können auf Augenhöhe bestehen. Hinzu stoßen bekannte Namen wie Beau Bridges als Clooneys Cousin, dem viel an dem Verkauf des Grundstückes liegt und Judy Greer, die in der Rolle der Frau des Maklers überzeugt. Zu Beginn stellte die Figur des Sid, ein ehemaliger Schulfreund der ältesten Tochter, ein Störfaktor im Gefüge dar. Prinzipiell hat er rein gar nichts mit der Familie King und ihren Sorgen zu tun, begleitet sie aber dann regelmäßig auf ihren Abenteuern. Relativ schnell findet er aber seinen Platz und fungiert mehr oder weniger als Sidekick, der sich um die beiden Töchter kümmert und Clooney mehr als einmal einen wichtigen Rat erteilt.

Alexander Payne hat mit „The Descendants“ ein wahres Meisterwerk geschaffen. Er hat den Roman eines bislang relativ unbekannten Hawaiianischen Schriftstellers entdeckt und einen grandiosen Film gemacht. Es wäre wünschenswert, wenn man nicht weitere sieben Jahre auf ein neues Werk warten müsste. 


[OSCAR PROGNOSE]

Mein großer Favorit in dieser Oscarseason und der beste Film 2012 – bisher. Aber auch der ewige Zweite bei sämtlichen Preisverleihungen. Das wird sich auch bei den Oscars nicht ändern. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit auf einen erfolgreichen Abend immer weiter sinkt, so gefällt mir der Gedanke, dass der Film am Ende doch der große Abräumer werden könnte. Letztendlich würde mir aber auch ein Drehbuchoscar für Alexander Payne reichen. Wie wahrscheinlich sind weitere Preise…?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen