Jochen Rathmann's Bücher

Freitag, 30. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Haunter


Haunter
5/10

Es scheint, als habe Regisseur Vincenzo Natali massive Probleme, den Erfolg von "Cube" zu wiederholen. Nachdem eines seiner ambitionierteren Projekte selbst mit der Schützenhilfe von Guillermo Del Toro scheiterte, wagt er sich mit "Haunter" nun an eine Story, die einem irgendwie bekannt vorkommt.

Es ist Samstag und Lisa ist in froher Erwartung ihres sechzehnten Geburtstags, wäre da nicht das Problem, dass sich ihr letzter Tag als fünfzehnjährige immer und immer wiederholt. Doch statt mit Sonny und Cher's "I Got You Babe" aufgeweckt zu werden, ist es ein Funkspruch ihres jüngeren Bruders. Ganz recht, der Film spielt in den 80ern; eine Zeit, als Funkgeräte noch in Mode waren und der Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" sich seinen Platz in der Popkultur erst noch verdienen musste.

Was man Natali zugutehalten muss ist, dass wir Lisa zum ersten Mal begegnen, als sie sich bereits mit der Zeitschleife abgefunden hat. Zumindest hat sie akzeptiert, mit diesem Zustand zu leben. Auch wenn sie hier und da Bemerkungen fallen lässt, die ihre Eltern irritieren. Im Endeffekt ist sie aber ein Teenager, der sowieso von allem und jedem genervt ist. Da macht ein Problem mehr oder weniger auch nicht mehr viel aus.

Die Idylle des sich wiederholenden Tages wird dann gestört, als Lisa plötzlich Stimmen hört und das Gefühl hat, dass sich noch andere im Haus aufhalten. Da sie nicht mehr viel zu verlieren hat, begibt sie sich auf die Suche nach den Fremden und erhofft sich, so aus dieser Zeitschleife auszubrechen.

Am Drehbuch und der Inszenierung gibt es nicht viel auszusetzen. Weil einfach auch nicht mehr zu holen war. Die Story hat einige gute Momente. Es handelt sich hierbei um keine Geschichte, bei der man zwangsläufig jeden nächsten Schritt schon ewig lange vorhersieht. Aber am Ende sollte sich das Staunen über den Ausgang in Grenzen halten. Natali lässt die Familie in einem Haus leben, welches einer übergroßen Puppenstube gleicht. Natürlich könnte er hier mit einer klaren künstlerischen Vision argumentieren, allerdings fällt es bei dieser Kulisse schwer, sich auf mehr einzulassen als auf die wieder einmal überzeugende Leistung der Hauptdarstellerin Abigail Breslin.

"Haunter" ist seit dem 22.05.2014 auf DVD und Blu-Ray erhältlich.

Dienstag, 27. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Enemy


Enemy
7/10

Der Geschichtsprofessor Adam führt ein ruhiges und eher ernüchterndes Leben. Dies ändert sich allerdings von der einen Sekunde auf die andere, als er sich auf Empfehlung eines Kollegen hin einen Film ansieht und sich selbst auf dem Bildschirm entdeckt. Im Abspann findet er heraus, dass sein "Doppelgänger" ein Mann namens Anthony ist. Da dieser seinen Weg erst noch auf die Liste der A-Prominenz finden muss, fällt es Adam nicht schwer, Kontakt aufzunehmen.

Was folgt ist ein Film, bei dem man sich nie ganz sicher sein kann, welche Wege er geht. Regisseur Denis Villeneuve hat vermutlich seinen Spaß damit, dem Zuschauer nur einzelne Brotkrumen zuzuwerfen und ihnen eine Aufklärung schuldig bleibt. Im Mittelpunkt steht die Spinnen-Metapher. Eine Legende besagt, dass die Schauspieler in ihren Verträgen versichern mussten, nicht über die Bedeutung der Tiere im Film zu sprechen. Wie sinnvoll man das halten mag, muss jeder für sich entscheiden. Hat Villeneuve vielleicht einfach Bilder kreiert, die keinerlei Bedeutung haben? Unwahrscheinlich, aber möglich. Doch eines ist klar: Der selbst erschaffene Mythos tut dem Film gut.

Eine ungemütliche Inszenierung macht die Leiden des Hauptakteurs spürbar. Jake Gyllenhaal gelingt es, beiden Figuren eine eigene Farbe zu geben. Trotz fehlender sichtbarer Unterschiede erkennt der Zuschauer sofort, welche der beiden Figuren in der Szene ist.

Nach einigen Minuten erkennt man, dass es sich bei der Welt in "Enemy" um keine gewöhnliche Gesellschaft handelt. Hier und da gibt es Anormalitäten, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten zu geben. Vermutlich muss man den Film öfters als einmal sehen, um Villeneuves Vision annähernd vollständig zu verstehen. Doch lohnt es sich auch, im Internet nach den unterschiedlichsten Theorien zu suchen. Einigen stimmt man zu, andere lehnt man ab. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Doch bei einer Sache kann man sich sicher sein. Bei der Schlussszene dürfte es selbst dem größten Spinnenfreund zuviel werden. 

Montag, 19. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Mud


Mud
9/10

Dreht also der Regisseur des grandiosen "Take Shelter" einen Film mit dem gerade erst wunderbar gewordenen Matthew McConaughey. Müsste eigentlich eine sichere Bank sein, alles andere wäre eine Überraschung. Und, Gott sei dank, bleibt hier die Überraschung aus.

Sein Name ist Mud. Ob das nun stimmt oder nicht verrät der Film nicht. Er stellt sich als Mud vor und alle anderen nennen ihn Mud. Er lebt zurückgezogen auf einer kleinen Insel im Mississippi, auch wenn sein Aufenthalt nur von kurzer Dauer zu sein scheint. Entdeckt wird er dort von zwei abenteuerlustigen Jungen, die von einem Boot in den Bäumen fasziniert sind. Eben jenes Boot, welches Mud von der Insel bringen soll.

Zu viele Einzelheiten über den Plot verderben das Sehvergnügen, weswegen eigentlich nur noch gesagt werden sollte, dass die beiden sehr schnell gefallen an dem Fremden auf der Insel finden und sich bereiterklären, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Auch als sie die wahren Hintergründe erfahren, weichen sie nicht von seiner Seite. Das Ziel ist es, seinen Wunsch zu erfüllen, auch wenn das alles andere als einfach ist.

"Mud" ist ein Ensemblefilm, wie er im Buche steht. Natürlich dominiert McConaughey in jeder seiner Szenen. Allerdings hat Jeff Nichols die Mammutaufgabe gemeistert, zwei überzeugende Kinderdarsteller für die beiden Titelrollen zu besetzen. Die Besetzungsliste mit Namen wie Reese Witherspoon, Sarah Paulson, Sam Shepard oder seiner Muse Michael Shannon aufzustocken, schadet dem Film dann auch nicht mehr.

"Mud" ist seit dem 13. Mai 2014 auf DVD und Blu-Ray erhältlich.

Donnerstag, 15. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Tokarev

Tokarev
5/10

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Krimineller aus seinem Leben aussteigen kann und er tatsächlich mit einer weißen Weste davonkommt, die noch nicht mal am Kragen einen dunklen Fleck vorzuweisen hat. Möchte man den ersten Minuten von "Tokarev" glauben schenken, scheint es Paul Maguire tatsächlich geschafft zu haben. Mittlerweile als angesehener Geschäftsmann, den Bürgermeister auf Kurzwahl, verkehrt in den höchsten Gesellschaftskreisen seiner Stadt. Als dann eines Abends völlig unerwartet seine Tochter zuerst entführt, und kurz darauf tot aufgefunden wird, weiß er, dass seine Vergangenheit gleich zweimal angeklopft hat.

Natürlich darf man dem Film nicht jeden Fehler ungestraft durchgehen lassen. Aber sind wir ehrlich, mittlerweile sollte man den unerbittlichen Fleiß von Nicolas Cage zu schätzen wissen. In einem guten Jahr schafft er es mit vier bis fünf Produktionen direkt ins heimische Kino. Dass diese Filme qualitativ nicht viel mit dem zu tun haben, was er beispielsweise Ende der 80er Jahre oder in den 90ern gemacht hat, erklärt schon die Entscheidung der Auswertung.

Wer also den Schauspieler Nicolas Cage schätzt, sollte hier sicherlich seinen Spaß finden. Dass hinter jeder Ecke holprige Dialoge, merkwürdige Schauspieleinlagen und nicht ganz ernstzunehmende Klischees warten, sollte man natürlich wissen. Im Endeffekt geht es nur um Rache und darum, nach und nach jeden auszuschalten, der auch nur im Entferntesten mit dem Tod von Cages' Filmtochter zu tun haben könnte. Mehr ist es nicht, und auch da entwertet der Twist am Ende die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens. Gemäß dem Fall, blindes Drauflosschießen hat irgendeinen Sinn.

"Tokarev" ist seit dem 13. Mai 2014 auf DVD und Blu-Ray erhältlich.

Montag, 12. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Labor Day

Labor Day
10/10


Es fehlte ihnen ein Mann im Haus. Zumindest könnte man das nach der ersten halben Stunde von "Labor Day" vermuten. Als die geschiedene Adele mit ihrem Sohn Henry zum monatlichen Einkauf in den Supermarkt fährt, rechnet sie nicht damit, auf der Heimfahrt in Gewalt des gerade aus dem Gefängnis ausgebrochenen Frank zu sein, dessen Flucht von da an die lokalen Nachrichten beherrscht.

Nach langen Einstellungen, in denen die Spannung mittels bedrückendem Soundtrack an die Grenze getrieben wird, und eine scheinbare Ohnmacht darüber herrscht, wie man sich richtig verhält, hat man einen Schwerverbrecher (zumindest wird das im Fernsehen behauptet) im Haus, folgt eine rasche Entspannung. Die depressive Adele hat einen Mann im Haus gebraucht, der Sohn eine Vaterfigur. Zu harmonischem Klavierspiel folgt eine Collage bilderbuchähnlichen Familienidylls.

Unterbrochen wird dieser neue Glücksmoment durch den unerwarteten Besuch eines Nachbarn. Doch auch hier stellt sich sehr schnell ein, was man schon frühzeitig vermutet hat. Auf irgendeine Art und Weise brauchen diese drei Menschen einander. Und so verwerft Frank seine weiteren Fluchtpläne sehr schnell und wird zu dem, was Adele und Henry so dringend in ihrem Leben brauchen.

Zwischenzeitlich sind die Fesseln verschwunden, man hantiert mit scharfen Messern, um gemeinsam einen Pfirsischkuchen zu backen. Henry geht alleine in den Supermarkt und begegnet auf dem Weg einem Polizisten, der Plakate mit dem Bild von Frank an Bäume anschlägt. Treten unerwartet Komplikationen auf, versucht man intuitiv den plötzlichen Hausgast zu schützen. Dutzende Möglichkeiten ergeben sich, dieses nicht ganz natürliche Szenario vorzeitig zu beenden. Doch warum gegen etwas ankämpfen, was scheinbar so gut funktioniert?

Der Film lebt nicht durch seine Dialoge, sondern durch die Kraft der Bilder. Emotionen stehen im Vordergrund. Ab einem gewissen Punkt geht es nicht mehr um die Frage, was richtig oder falsch ist. Es geht nur noch darum, eine gemeinsame Ewigkeit zu entwerfen. Augenblick, verweile doch.

Donnerstag, 8. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Grand Piano


Grand Piano
7/10

Man stelle sich einmal vor, da gäbe es eine Version von „Nicht auflegen“, in der man nicht nur einfach nichtsnutzig in einer Telefonzelle herumstehen muss und die anderen die Arbeit erledigen lässt, sondern ein gefeierter Starpianist in einem ausverkauften Konzertsaal an einem Piano sitzt und vor sich die Notenblätter eines überaus anspruchsvollen Stückes hat und sich nicht verspielen darf, da man sonst seine Frau und ihn selbst erschießen wird.

Zugegeben, die Handlung von Eugenio Mira's musikalischem Thriller klingt wie etwas, was man sich auf einer Party nach fünf Sixpack Bier gegen halb drei einfallen lässt. Allerdings ist es vermutlich auch seiner Fähigkeit als Komponist zu verdanken, dass „Grand Piano“ mehr als nur ein flotter Film mit guter Musik ist.

Ihm gelingt es, die Musik zu einem Hauptdarsteller zu machen. Auch wenn sich hier und da immer mal wieder inszenatorische Fehler einschleichen, sind die Szenen, in denen Elijah Wood am Piano sitzt und wörtlich um sein Leben spielt, von einer beeindruckenden Intensität und Perfektion. Es soll der Eindruck entstehen, dass die Handlung des Films quasi in Echtzeit passiert, wobei natürlich die Erzählzeit und die erzählende Zeit nicht wirklich zueinanderfinden wollen. Doch trotz der seriösen Konzertatmosphäre und der hohen Präsenz der Musik dürfte der Film auch denjenigen gefallen, die mit klassischer Musik nicht viel anfangen können. Mira gelingt es, alles in äußerst kurzweilige 78 Minuten zu packen. Warum man allerdings einen Abspann mit einer Länge von 12 Minuten gebraucht hat, bleibt wohl ein Geheimnis der Verantwortlichen.

John Cusack ist das erste Mal nach 30 Minuten zu hören und auch nur am Ende in wenigen Szenen zu sehen. Dennoch harmoniert seine stimmliche Arbeit mit dem nervösen Spiel von Elijah Wood. Über ein Headset stehen sie während des gesamten Konzerts in Kontakt.

Ob Cusack's Charakter nun lediglich besessen von perfekten Konzertaufführungen ist oder doch eine ganz andere Motivation hat, löst Mira am Ende gelungen auf. Sicherlich werden viele mit dieser Idee unzufrieden sein, doch sollte man „Grand Piano“ nicht auf diese Schlusssequenz reduzieren. Dafür ist die Präsentation der Musik einfach zu stark.

Grand Piano“ ist seit dem 8. Mai 2014 auf DVD und Blu-Ray erhältlich.

Montag, 5. Mai 2014

[JR Filmkritik 2014] Fruitvale Station


Fruitvale Station 
10/10

Sieht man einen Film und weiß schon im Vorfeld, dass die Person im Mittelpunkt des Geschehens am Ende nicht mehr Leben wird, neigt man als Zuschauer dazu, jede Tat, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Sind wir ehrlich, die meisten Regisseure provozieren dies auch gerne, indem sie ihren Figuren in den letzten Stunden auch besondere Worte in den Mund legen. "Fruitvale Station" ist gerade deswegen so verstörend, weil Ryan Coogler auf jegliche Mittel verzichtet.

Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt Coogler die Geschichte von Oscar Grant, einem jungen Schwarzen, dessen Leben in den Morgenstunden des Neujahrstags 2009 ein unerwartetes Ende nimmt. Dabei wird in keiner Sekunde ein Held porträtiert. Coogler zeigt den Menschen, wie er ist. Ein einfacher Kerl mit einem guten Herzen, aber einigen Problemen in seinem persönlichen Umfeld.

Wir folgen ihm durch die Stunden seines letzten Tages. Der Geburtstag seiner Mutter, Einkäufe, das Aussuchen einer Glückwunschkarte, der klägliche Versuch, seinen Job im Supermarkt zurückzubekommen, Gedanken an das Jahr zuvor, als seine Mutter ihn im Gefängnis besuchte. Es sind nüchterne Augenblicke, mit einem klaren Blick auf die Welt, einer Art Perspektivlosigkeit. Probleme, mit denen er sich Tag ein Tag aus konfrontiert sah.

Und obwohl man das Ende erwartet, kommt es doch unerwarteter als man denkt. Ryan Coogler gelingt es auch an dieser Stelle des Films wieder, die Realität vor billige Effekthascherei zu stellen. Bestimmte Dinge kann man einfach nicht kommen sehen. Umso größer ist dann die Wut darüber, mit welcher Dummheit unkontrolliert von Seiten der Polizei gehandelt wurde und letztendlich die Entscheidung über ein Leben in einer einzigen Hand liegt. Gemessen an der Strafe für den Polizisten im Mittelpunkt der Kontroverse und seine Kollegen, die diese unübersichtliche Situation provoziert haben, bleibt am Ende nur Ratlosigkeit, und einer der besten Filme des Jahrs 2014.