Jochen Rathmann's Bücher

Montag, 27. Februar 2012

DIE OSCAR NACHT 2012 – PIECE BY PIECE

Man kann sie lieben, man kann sie hassen. Doch irgendwie wartet man jedes Jahr aufs neue. Die Oscars. Und während man die letzten Minuten des genialen und völlig zurecht ausgezeichneten „No Country for Old Men“ sieht, um sich schon mal in Stimmung zu bringen, eröffnet Pro7 die Oscar – Nacht mit der wohl schlechtesten aller Möglichkeiten: Annemarie Warnkross – so etwas wie die Schwiegertochter von Howard Carpendale. Es wird ein glamouröser Abend.

Um 1:03 Uhr taucht dann das erste Mal Steven Gätjen auf, ein kleiner Lichtblick.

Noch haben sie keinen Oscar gewonnen, aber Hamburg Media School – Absolvent Max Zähle (nominierter Kurzfilm: Raju) könnte nach Florian Henckel von Donnersmarck der sympathischste deutsche Gewinner werden.

Wie schon beim Super Bowl vor einigen Wochen bei der kleinen Schwester Sat1 setzt Pro7 auch hier auf eine Nacht mit der Werbung von „meetone“, inklusive dem wohl schlimmsten Werbejingle aller Zeiten.

Steven Gätjen beginnt seine Red Carpet – Show mit George Clooney, Wim Wenders steht dahinter an. Nach den beiden Interviews ist die Leitung kurz abgebrochen, das war dann auch für Pro7 zuviel.

Der nette ältere Herr, der BBC’s Talking Movies moderiert, sendet direkt neben Gätjens Platz – wie klein die Welt doch ist.

Liegt es an mir oder war die Gätjen – Übertragung dieses Jahr extrem kurz. Ich schaue lieber ihm zu statt dieser gefakten US – Preshow von ABC.

2:30 Uhr geht es dann los...

Bis 2:46 Uhr

„Goldene Kamera“ – Legende Morgan Freeman eröffnet die Zeremonie. Prinzipiell ist sein Auftritt relativ sinnlos, man hätte den Crystal – Einspieler auch ohne große Worte starten können.

Von Billy Crystal erwarte ich dieses Jahr nicht viel. Ich habe mich wirklich auf Eddie Murphy gefreut, doch der hat aus bekannten Gründen abgesagt.

Billy Crystals Videoeinspieler ist im Vergleich zu seinen Vergangenen – zumindest diejenigen, die ich kenne – schwächer. Und auf Justin Bieber hätte man wirklich verzichten können. Sein musikalischer Einstieg – von jedem in dieser Form erwartet – war auf dem gleichen Niveau. Nett, mehr aber auch nicht.

Tom Hanks vergibt die ersten Oscars. Damit ist klar, dass er nicht den letzten überreichen wird. Da Spielberg in diesem Jahr nominiert ist, fällt er ebenfalls raus. Dann ist wieder jemand wie Harrison Ford an der Reihe.

Die ersten beiden Oscars gehen an „Hugo“. Das kommt dann doch überraschend. Bedenkt man, dass „The Artist“ nach einer viertel Stunde schon zwei Preise verloren hat.

Bis 3:00 Uhr

Es bringt so rein gar nichts, wenn man wahllos Ausschnitte aus Filmen wie Forrest Gump, Hangover, Titanic, Der Pate, Das Gesetz der Ehre, Der Exorzist, Star Wars, Twilight, E.T., Der weisse Hai, Die fabelhafte Welt der Amelie,... zusammenschneidet. Fishing for compliments. Und das nach gerade einmal 20 Minuten Show.

Dann doch. Der erste Oscar für „The Artist“. Best Achievement in Costume Design, so hätte ich auch gestimmt.

Es fällt positiv auf, dass für die Einspieler der etwas uninteressanteren Kategorien extra Statements der Schauspieler, Regisseure und Mitwirkenden aufgenommen wurden.

Billy Crystal hat schon angesprochen, dass heutzutage die meisten Filme auf dem iPhone oder auf der großen Leinwand, dem iPad, gesehen werden. Jetzt ein verstörender Einspieler, in dem Schauspieler wie Ben Stiller, Adam Sandler, Hilary Swank, etc... mit todernster Mine von ihren Lieblingserlebnissen im Kino erzählen. Man bekommt das Gefühl, als wäre der Film ein kränkelndes Wesen, das den nächsten Winter nicht überleben wird.

Bis 3:15 Uhr

Sandra Bullock ist es so unangenehm Deutsch zu sprechen, dass sie es als Chinesisch verkaufen muss. Kann man machen, muss man aber nicht.

Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als die Preise für die besten Nebendarsteller zu Beginn vergeben wurden. Ein kleines Highlight um in den Abend zu kommen. Mittlerweile muss man auch darauf warten. Glücklicherweise gewinnt dann aber auch die richtige. Oscar für Octavia Spencer und damit der erste Preis für „The Help“.

Bis 3:30 Uhr

Videomitschnitt einer „Focus Group“, die den gerade gesehenen „Der Zauberer von Oz“ kritisiert. Drittklassige Darsteller wie Eugene Levy, Jennifer Coolidge, etc.. und platte Gags. Das Publikum zeigt sich nur zögernd begeistert.

Der vierte Oscar für „Hugo“. Bahnt sich hier eine kleine Sensation an? Vermutlich nicht. Immerhin ist jetzt auch „The Girl with the Dragon Tattoo“ prämiert. So schnell hat ein Preis noch nie an Wert verloren.

Bis 3:49 Uhr

Gerade fällt mir wieder auf, wie unvorteilhaft der Trailer von „Moneyball“ geschnitten ist. Ein Film, auf den ich unter diesen Umständen überhaupt keine Lust hätte. Doch dann fällt mir ein, dass ich ihn schon gesehen habe. Und er ist wirklich toll.

Kermit der Frosch und Miss Piggy kündigen Cirque du Soleil an. Ein Auftritt, der schon im Vorfeld mir Pauken und Trompeten umworben wurde. Bis auf die gelungene artistische Umsetzung von Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ gab es nur Dinge zu sehen, weswegen ich Cirque du Soleil eigentlich meide. Und mit Film hatte das alles auch nicht viel zu tun.

Und dann muss sich Wim Wenders gegen eine mittelmäßige Football – Doku geschlagen geben. Nicht das ich den Film gesehen hätte, aber manchmal reichen wenige Sekunden aus dem Einspieler.

„Rango“ gewinnt völlig verdient den Oscar „Bester Animationsfilm“. Der größte Dank gilt Pixar, die dieses Jahr „Cars 2“ ins Rennen geschickt haben.

Bis 4:04 Uhr

Manche Dinge werden für immer ein Rätsel bleiben. Zum Beispiel wie „Planet der Affen: Prevolution“ den Oscar für beste Special Effects verloren hat. Doch etwas positives hatte die Kategorie. Emma Stone und Ben Stiller mit dem wohl besten Presenter – Auftritt des Abends.

Letztes Jahr Kirk Douglas, dieses Jahr Christopher Plummer; Melissa Leo fühlt sich wohl zu älteren Männern hingezogen. Ein Preis für den überragenden Plummer, für einen überragenden „Beginners“.

Bis 4:21 Uhr

Billy Crystal kann die Gedanken der Schauspieler lesen. Diese Nummer habe ich erst kürzlich von Hape Kerkeling gesehen, und bei ihm wirkte alles etwas lockerer.

Der erst zweite Oscar für „The Artist“, aber ein absolut verdienter für den „Best Score“. Schließlich ist die Musik die einzige Stimme des Films. Und die Melodien sind so eindringlich, dass man sich sofort an jede einzelne Szene erinnert, sobald man die Musik hört.

Bis 4:33 Uhr

Etwas, was im amerikanischen Live - Fernsehen niemals passieren darf. Ein Versprecher. Crystal ist es aber passiert. Und er hat spontan reagiert. Gekonnt.

Jedes Jahr, wie besch**** eine Oscarverleihung auch sein mag, gibt es eine Kategorie, die meine Rettung ist. Denn in dieser Kategorie gewinnt der beste Film, der meistens chancenlos ist. Das beste Drehbuch. Sofia Coppola für Lost in Translation. Little Miss Sunshine, (...). Und dieses Jahr Alexander Payne (...) für The Descendants.

Zuerst Alexander Payne, und dann gewinnt auch noch Woody Allen für „Midnight in Paris“. Die Drehbuchkategorien sind einfach das Highlight einer jeden Zeremonie. PERFEKT! Jetzt kann kommen, was will.

Bis 4:47 Uhr

Es ist eine Schande, dass Kurzfilme nur einem kleinen Publikum vorbehalten sind. Der Bridesmaids – Cast übergab die Preise für (Animierter-/Live Action-/Dokumentar-) Kurzfilm. Und viele Ausschnitte waren vielversprechend. Doch kaum einer der 15 Filme wird für den Cineasten frei zugänglich sein. Es sei denn, einer der Regisseur wird berühmt, dreht einen großen Film und kann das Frühwerk als Bonusmaterial auf die DVD packen. Es müsste eine andere Möglichkeit geben, an solche kleinen Meisterwerke zu kommen.

Bis 4:58 Uhr

Normalerweise wird der Preis für Beste Regie unmittelbar vor dem Besten Film vergeben. Doch da dies in den meisten Fällen ein Indikator für den Hauptpreis ist, hat man diese Kategorie dieses Jahr noch vor die Hauptdarsteller gezogen. Demnach müsste „The Artist“ als bester Film aus dieser Nacht gehen. Auch wenn dahingehend die Preisverteilung wenig Sinn ergab. Die Oscars eben.

Bis 5:07 Uhr

Respekt für die im vergangenen Jahr verstorben hat man bei diesen Rückblenden oft vermisst. Bei den großen Namen wurde applaudiert, bei den unbekannten verstummte das Publikum. Dieses Jahr ist es zum ersten Mal gelungen, dass das Publikum erst zum Abschluss applaudiert. Gleichzeitig hat man für die Titelkarten einen einheitlichen Look ausgewählt. Bis auf wenige Ausnahmen hat man für ein homogenes Bild gesorgt. Steve Jobs wurde genauso lange erwähnt wie Whitney Houston oder eine unbekannte Casting – Agentin. Dazu wurde eine ruhige Version von „What a Wonderful World“ gesungen. Endlich eine Erinnerung ohne Fremdschämfaktor.

Bis 5:21 Uhr

Jean Dujardin bekommt den Oscar als Bester Hauptdarsteller für „The Artist“. Natürlich hat er den Preis verdient. Und er wird jetzt auch völlig Verdient in Hollywood durchstarten können. Dennoch hätte ich lieber George Clooney gesehen.

Bis 5:43 Uhr

Die eiserne Lady hat dank einer eisernen Hollywoodregel gewonnen. Spiele eine reale Person, und du wirst jeden gottverdammten Preis gewinnen. Warum jemandem wie Viola Davis, die eine literarische Figur zum Leben erweckt hat, auszeichnen? Nachahmungen sind viel leichter zu beurteilen. Und Meryl Streep hat es in ihrer „spontanen, unerwarteten“ Dankesrede treffend gesagt: Jeder Zuschauer hat in der Sekunde der Verkündung gedacht, Oh nein, nicht sie schon wieder. Und was denkt Sie darüber? „Whatever“.
Ich bin stolz darauf, mich einen waschechten „Whatever“ nennen zu dürfen.

Dann ist es Tom Cruise, der den Oscar für den Besten Film überreichen darf. Unverhofft kommt oft, aber nicht bei den Oscars. Nach einer teilweise einseitigen Awardseason hat wie zu erwarten „The Artist“ gewonnen. Völlig verdient, dennoch nicht der beste Film der Nominierten.

Ein kleines Resümee:

Sieht man einmal von den falschen Entscheidungen, den fragwürdigen und den vollkommen richtigen Preisen ab, war die 84. Oscarverleihung alles in allem eine positive Überraschung. Ich hätte sehr gerne Eddie Murphy gesehen. Billy Crystal war präsent, spontan, wirkte doch viel zu routiniert, musste teilweise am lautesten über seine Witze lachen. Doch ein großes Lob geht an Brian Grazer, der die Aufgabe des Produzenten sehr kurzfristig übernahm, und vielleicht gerade deswegen eine flotte und kurzweilige, durchgehend angenehme Veranstaltung inszeniert hat. Man hat auf die lästige Vorstellung jedes einzelnen Filmes aus der Kategorie „Bester Film“ verzichtet. Die einzelnen Kategorien waren ordentlich verpackt, die „Presenter“ mit ordentlichen Texte versorgt.

Eine gelungene Veranstaltung, auch wenn viel zu oft die falschen Filme gewonnen haben. Mal wieder.

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