Jochen Rathmann's Bücher

Freitag, 16. September 2011

Im TV: Der Talkshow – Marathon im Ersten. Die Premiere



Das Erste hat es getan. Nach langen Jahren Verhandlungen und Pokerface haben sie einen Schmidt gegen einen Jauch eingetauscht und endlich das erreicht, was schon seit langem mehr als nötig erschien.
Nach dem Abgang von Sabine Christiansen und dem Quotenkrampf von Anne Will sollte der Sonntagabend „Post – Tatort Talk“ dem größten, schönsten, nettesten, bekanntesten, vertrauenswürdigstem, politisch wählbarstem Mann im deutschen Fernsehen gehören.
Als wäre das alles nicht genug hat Das Erste ihr gesamtes Fernsehprogramm nach neun auf den Kopf gestellt, durchaus mit einem interessanten Hintergedanken. Harald Schmidt war es, der sich permanent über die unregelmäßige Sendezeit seiner Show und den zeitlichen Verschiebungen im Programm geärgert hat. Und jeder, der schon einmal einen Film im Nachtprogramm aufgenommen hat– denn wir alle wissen, dort laufen die wahren Schätze, wohingegen der 20:15 Uhr Sendeplatz dem Musikantenstadl und einem Rosamunde Pilcher – Klon gehört – weiß, dass die Aufnahme so gut wie immer unvollständig ist, da es zu permanenten Verschiebungen innerhalb des Programms kommt.
Da man Anne Will aber auch nicht vor den Kopf stoßen wollte (noch nicht), hat man sie irgendwo unter der Woche eingegliedert und eine Struktur entwickelt, die dafür sorgt, dass zumindest die Tagesthemen jeden Abend pünktlich auf Sendung gehen und sich die Talks daran orientieren.
Nachdem in den letzten Wochen nach und nach wöchentlich die Sendungen aus der Sommerpause zurückkamen, war es am 11.09.2011 endlich soweit. Mit der ersten Folge „Günther Jauch“ wurde die erste vollständige Talkwoche eröffnet.
Fünf Tage, fünf Talkrunden. Ein Konzept, für das es im Vorfeld viel Kritik hagelte.
Ein investigativer Selbstversuch.


Sonntag, der 11. September 2011
„Günther Jauch“
Thema: Zehn Jahre 11. September – War es richtig, in den Krieg zu ziehen?

Günther Jauch funktioniert auf zwei Ebenen. Auf der einen Seite haben wir den Showmaster (Entertainer wäre das falsche Wort), der neben dem deutschen Ableger von „Wer wird Millionär?“ in etlichen anderen Shows auftritt. Wer ihn in einer seriöseren Position (meistens) sehen wollte, musste „Stern TV“ einschalten. Ein Format, dass er seit Jahren erfolgreich moderierte.
Als ich gehört habe, dass er nun endlich eine eigene Polittalkshow bekommen würde, habe ich mich etwas genauer mit „Stern TV“ auseinander gesetzt. Es fiel mir schwer zu glauben, dass ein Moderator, der als Quizmaster flott, locker und spontan agiert, mit einfachen Talksituationen solch erhebliche Schwierigkeiten hat. Er wirkt nicht nervös oder aufgeregt, seine Haltung ist aber äußerst verschränkt, klammert sich an den Karten fest und hofft jedes Mal die Antwort zu bekommen, die er für seine nächste Frage braucht. Schwer vorzustellen, wie er sich gegen eine Handvoll tollwütiger Politiker und Journalisten behaupten will.
Eine andere Sache, die nicht von der Hand zu weisen war, war die Frage nach dem ersten Gast. Ich war mir sicher, ich hatte es gar nicht anders erwartet, dass der erste Gast eine große Nummer sein muss. Ein neues Format, ein solches Format. Mit dieser Bedeutung, für die Person Jauch als auch für den Sendeplatz. Ich war mir sicher, dass es nur eine Möglichkeit gab. Der erste Gast hätte der/die amtierende Bundeskanzler/rin sein müssen. Ohne Frage! Als sich Sabine Christiansen verabschiedete, hatte sie den Bundespräsidenten in der Sendung. Jauch hätte mit einer ganz großen Nummer einsteigen müssen.
Er tat es aber nicht. Er ging den Weg des geringsten Widerstandes und entschied sich für das tagesaktuelle Thema, der zehnte Jahrestag der Anschläge des 11. September. Ohne Frage, ein Thema, das in der Sendung ihren Platz finden musste. Darüber hätte man aber auch mit der Kanzlerin sprechen können. Die Fragen: Wo waren Sie? oder Wie wahrscheinlich ist ein solches Attentat in Deutschland? drängen sich da förmlich auf.
Stattdessen widmete man die erste Sendung vollständig diesem Thema und stellte eine Gästeliste vor, die an Langeweile gar nicht mehr zu überbieten war.
In einem kurzen „Cold Open“ machte er seine Ansage, dann folgte der Vorspann mit charakterlosen Aufnahmen aus Berlin und den Klängen eines melodramatischen Streichersatzes, der durchaus im Ohr bleibt.
Nachdem er einige Minuten mit der „Dust Lady“ gesprochen hat, die die ersten Jahre nach den Anschlägen überhaupt gar nicht ihr Haus verlassen konnte, begab er sich in die Mitte seiner Talkrunde und plauderte munter drauf los.
Es war eine typische Runde, für eine Premiere dieses Ausmaßes unwürdig. Viel zu oft kam man vom Thema ab, wollte unbedingt seine eigene Ansicht zur Welt unterbringen (wie es eben in so ziemlich jeder Talkrunde der Fall ist) und Jauch musste permanent einlenken. Da man größtenteils die gleichen Meinungen über die Anschläge teilte, kam es zu keinen großen verbalen Ausschreitungen. Spätestens wenn Gysi auf Söder (Namen nach belieben einsetzten) losgeht, wird Jauch schon etwas mehr gefordert sein.
Das Studio macht auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck. Das Gasometer ist groß, hat einen Indoor – Teich, der im Hintergrund nicht unbemerkt bleibt, und eine riesige Kuppel, an der wir noch die ein oder andere Kamerafahrt miterleben dürfen.
Ein äußerst nerviges Problem ist allerdings der Ton. Es hallt. Ein großer Nachteil des Studios. Ich vermute stark, dass es im Vorfeld schon Testaufnahmen gab, und man das Problem so gut wie möglich zu bekämpfen versuchte. Auf Dauer ist es aber keine Lösung. Wenn es selbst schon den Machern von „TV Total“ auffällt.
Als es im Vorfeld hieß, dass Jauch den Talk nicht neu erfinden wollte, konnte man nicht ahnen, dass er sich so minimalistisches an diese Aussage klammerte. Neues gab es nicht zusehen. Schade eigentlich, da er die Möglichkeit hatte, etwas Bewegung in das Spiel zu bringen. Hoffen muss er, dass die Zuschauerzahlen nicht in den Keller fallen, und eine Weiterbeschäftigung zwar erhalten bleibt, aber viele Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde.


Montag, der 12. September 2011
„hart aber fair“
Thema: Der blockierte Aufstieg – Gesellschaft mit beschränkten Chancen?

Frank Plasberg moderiert die beste Talkshow im deutschen Fernsehen. Erinnert man sich daran, wie lange es gedauert hat, bis die ARD ihn vom WDR ins Hauptprogramm genommen hat, klingt es wie ein schlechter Scherz. Auch dass er nicht der erste Anwärter für den Sendeplatz am Sonntag und somit direkter Nachfolger von Christiansen wurde, ist nach wie vor nicht eindeutig.
Er wurde vom Mittwoch auf den Montag geschoben. Im Vorfeld gab es schon Bedenken, da er genau einen Tag nach Jauch laufen würde, der dann die Top – Gäste und die Top – Themen abgearbeitet haben könnte und für Plasberg nichts mehr übrig bliebe ohne sich zwangsläufig zu wiederholen. Das die Sendung aber eine Qualität an den Tag legt, wie es sonst keine dieses Genres schafft, dürfte jede Sorge im Keim ersticken. Die Sendung wurde bisher oft vor einer harte Belastungsprobe gestellt, und jedes mal konnte sie bestehen.
Das Thema dieser Woche war relativ frei formuliert. Bekannte und unbekannte Gäste konnten praktisch jedes Themengebiet anschneiden, solange sie nicht vollständig von der Thematik abschweiften.
Plasberg leitet diese Runden, wie immer, souverän. Er weiß bei welchem Politiker er härter Agieren kann und lässt dabei nie die im Stich, die etwas seltener in solchen Sendungen auftauchen und entweder nicht zu Wort kommen, oder von einem narzisstischen Politiker zusammengelogene Behauptungen an den Kopf geworfen bekommen.
Christian Rach war überraschend gut informiert, Nazan Eckes hat etwas über ihre Herkunft geplaudert, und Karl Lauterbach hat zugegeben, dass er als Kind schon nervig war.
Was auch immer in den kommenden Monaten und Jahren mit den Talkshows im Ersten passieren wird, „hart aber fair“ wird bleiben. Ganz sicher.


Dienstag, der 13. September 2011
„Menschen bei Maischberger“
Thema: Der verwirrte Patient – Was macht wirklich gesund?

Des Deutschen liebstes Thema mit ihrem Lieblingsarzt: Gesundheit und Hirschhausen. Sowieso hat sich Eckart von Hirschhausen im Ersten zu einer festen Größe gemausert und wird wohl in jeder Sendung zu Gast (sein müssen), die auch nur im entfernsten mit dem Thema Gesundheit zu tun hat.
Carlo von Tiedemann, ein bekennender Hypochonder, der sich öfters Ganzkörper – Checks unterzieht als Schuhe besitzt, hat es sichtlich genossen, als Versuchskaninchen von sämtlichen Topärzten Deutschland untersucht und beraten zu werden. Natürlich nur für die Sendung. UND die Wissenschaft!
In den 75 Minuten waren die Rollen klar verteilt. Tiedemann war von allem überrascht und entzückt, was gesagt wurde. Hirschhausen fungierte eher als Sidekick und Stichwortgeber. Eine Patientin, deren Gesundheitszustand sich nach über 40 Knie – Operationen stetig verschlechtert hat, schien mehr Sympathien von der rechten Hälfte der Runde (aus Sicht des Fernsehbildes) zu erfahren.
Sowieso ist es immer verwunderlich zu sehen, wie manche in solchen Sendungen auftreten. Was war Theodor Windhorst wichtiger? Sich innerhalb der Runde zu behaupten, koste es was es wolle, oder auch Sympathisanten an den Bildschirmen zu begeistern.
Sowieso würde es den meisten Talkshows gut tun, eine Kategorie namens „Talk – Boxen“ einzuführen. Ähnlich wie beim „Schach – Boxen“ würde man eine viertel Stunde sprechen. Dann ertönt ein Gong, sie treten in die Mitte und geben sich ordentlich aufs Maul. Dann wird weitergesprochen. Sicherlich eine gewagte Variante, ein Versuch sollte es aber wert sein.
Sandra Maischberger ist schwer einzuschätzen. In dieser Sendung wirkte sie selbstbewusst und aufgeweckt, hatte soweit alles unter Kontrolle und unterbrach in den richtigen Momenten. Wenige Wochen zuvor, als Charlotte Roche und die Sexualmoral 2011 besprochen wurde, wirkte sie überfordert und hatte keinen in der Gruppe im Griff. So wird jede Sendung zur Wundertüte, auch nicht sie schlechteste Sache.
Dennoch ist sie die einzige, die ihren Sendeplatz behalten durfte, und das vermutlich nicht ohne Grund. Dafür ist sie schon viel zu lange auf Sendung und hat im Kreis der Intendanten viel zu viele Fans, als das ihr jemand an den Kragen könnte.


Mittwoch, der 14. September 2011
„Anne Will“
Thema: Lasst mich in Würde altern!

Ist der Ruf erst ruiniert. So hätte einerseits das Thema, aber auch die Sendung heißen können, die vom Sonntag auf den Mittwoch gelegt wurde.
Erst wenn man jegliche Seriosität abgelegt hat, lässt es sich befreit talken, Richtig befreit schien Anne Will aber erst, als sie Hochhuth das Wort abschnitt und sichtlich gut gelaunt die Sendung beendete. Sowieso schien es am Abend nur darum zu gehen, dem Vorhaben der ARD, JUNGES PUBLIKUM BEGEISTERN!, entgegenzuwirken. Und die paar Jungendlichen, die sich vielleicht doch verirrt haben, mussten sich noch anhören, dass sie der Oma im Bus nicht mehr ihren letzten freien Sitzplatz anbieten.
Rolf Eden hatte sichtlich Mühe, sich selbst dafür zu begeistern, wie fit er noch ist und diese Mittel erst, die er einnimmt, damit es im Bett rund läuft. Es schien, als könnte es ihm kaum noch auf dem Sitz halten. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte eine eingeworfen und im Studio seine Manneskraft gestanden. Und Will hätte vermutlich keinen Einwände gehabt. Hat man Eden aber auch dann im Blick behalten, wenn die Kamera ihren Fokus nicht auf ihn gerichtet hat, konnte man am „Top gelifteten“ Gesicht sehen, dass die Seiten leicht anfangen zu hängen, und die Augen erst.
Als das Publikum dann auch noch frenetisch zu klatschen begann, als er sagte, dass er eine fünfzig Jahre jüngere Freundin hätte, die sich um ihn kümmert, wenn er schon am sabbern ist, hatte man kurz den Eindruck, Will wollte mit allen Mitteln zum Privaten.
Und wenn wir schon beim Sabbern sind, Rolf Hochhuth war auch zu Gast. Diese Einladung schrie praktisch: IN YOUR FACE, Günther! Schließlich war Hochhuth in der letzten ARD – Episode von „Harald Schmidt“ zu Gast und hat dort schon den Wechsel von Günther Jauch kritisch beäugt. Was man in diesem Interview aber auch erfahren hat, er ist für diese Art von Sendung nicht gemacht. Aber irgendwie musste er natürlich in die Sendung. Wie es scheint, ist im Hause Will die Rache doch ein Gericht, dass am besten Lauwarm serviert wird.
Wie nicht anders zu erwarten, ich habe meine Stoppuhr mitlaufen lassen, kam gerade noch zum Ende der Senndung sein Aufruf zur Revolution. Ich glaube, solche Gäste wünscht sich jeder.
Abgesehen von der Qualität dieser Ausgabe ist „Anne Will“, sowohl als Person als auch als Sendung, der große Verlierer dieser Talkshow – Offensive. Über kurz oder lang wird es nicht Möglich sein, fünf Sendungen dieser Statur am Leben zu halten. Spätestens im nächsten Frühjahr wird es den ersten treffen. Gut vorstellbar, dass dann Will gehen muss. Entweder darf sie dieses Format in den Dritten fortsetzen, neben den „lukrativen“ Angeboten im Hauptprogramm, die man ihr sicherlich unterbreiten wird, oder sie wird den Sender verlassen und zum Unmittelbaren Sendeplatznachbarn wechseln.
Ihr Sendeplatz bleibt dann leer, oder Beckmann rückt auf, oder Plasberg darf sich einen der drei Tage aussuchen, oder...


Donnerstag, der 15. September 2011
„Beckmann“
Thema: Vermisste Kinder – wie weit darf man gehen, um das Leben eines Kindes zu retten?

Auch wenn die Quoten an der Grenze zum kaum messbaren pendelten, war der Abschluss des ersten Talkmarathons der Interessanteste. Neben den Eltern der 2007 verschwundenen Madeleine McCann war ebenfalls der Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit zu Gast, der wegen der „Folteraffäre“ im Fall des entführten Bankierssohn Jakob von Metzler für Furore sorgte.
An dieser Konstellation kann man ganz deutlich erkennen, dass es ein großer Fehler war, „Beckmann“ vom Montag auf den Donnerstag zu legen. Wäre es tatsächlich der Fall, dass Jauch „hart aber fair“ dadurch kaputt machen würde, dass er die guten Themen am Abend zuvor behandelt, wäre es ganz einfach zu vermeiden gewesen.
„Beckmann“ ist nicht auf den typischen Polittalk ausgerichtet. Neben Politkern lädt er so ziemlich jeden ein, der in der öffentlichen Wahrnehmung von sich Reden gemacht hat. Musiker, Schauspieler, Journalisten, etc. Seine Themen drehen sich nicht immer um das tagespolitische Geschehen. Ideal wäre es also gewesen, ihn auf dem Montag zu lassen. Nach dem Wochenende würde jeder anderen Sendung über die Woche einen ganzen Tag schenken, an dem die Koalition kurz vor der Implosion steht, der Euro in DM getauft wird oder Berlusconi die anonymen Alkoholiker besucht. Stattdessen kämpft er nun als Schlusslicht ums Überleben, hat aber vielleicht demnächst auf dem Sendeplatz von „Anne Will“ wieder mehr Glück.  


SCHLUSSRUNDE: Viel wird gesprochen, doch wer möchte auch alles hören?
Wer schlecht gelaunte Gäste sehen will,  die sich verarscht und fehl am Platz fühlen, und es nicht müde werden, ihr Unbehagen permanent dem Gastgeber kund zu tun: Willkommen im Paradies!
Auch wenn jede Sendung auf ihre Individualität höchsten Wert legt, haben sie doch so viel gemein. Jede einzelne Talkshow hat ihren Anhängerkreis, stimmen die Themen und Gäste, schalltet auch der ein oder andere mehr ein.
Trotzdem hat das Modell, so wie es jetzt aufgebaut ist, keine großen Zukunftsaussichten. Fünfmal ist (mindestens) einmal zu viel. Es wird die Zeit kommen, in der die ein oder andere Sendung erhebliche Verluste zu verzeichnen haben wird. Egal wenn es trifft, eine Sendung wird dann wohl oder übel vom Sender gehen. Welche sich da am ehesten anbietet, habe ich schon oben erläutert.
Fünfmal die Woche Talk, ich werde einschalten, aber definitiv nicht an jedem Abend.

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