Brauchen wir wirklich ein Reboot des Spiderman – Franchises?
Nein! Sam Raimi hat uns zwei wunderbare Filme und einen fragwürdigen dritten
Teil geschenkt, die eigentlich fürs erste reichen sollten. Denkste! Hollywood
richtet sich nur selten nach seinen Zuschauern, hat aber in den meisten Fällen
den längeren Atem.
Hier geht es in erster Linie um Attraktivität. Was kann uns
ein neuer Film, der Start einer weiteren Reihe, bieten, was uns bisher gefehlt
hat. In diesem Punkt hat der Film einiges im Angebot. Lassen wir einmal Rhys
Ifans außen vor, ein großartiger Schauspieler, der in die Rolle des Bösewichts
schlüpft.
Es ist das neueste Werk von Regisseur Mark Webb, der
unmittelbar auf seinen modernen Klassiker „(500) Days of Summer“ folgt. Ein
Film, mit dem er so unerwartet aber so berechtigt Hollywood im Sturm erobert
hat.
Hinzu kommt die Besetzung von Emma Stone. Eine
Schauspielerin, die momentan noch in der Nachwuchsriege einzustufen ist, aber
in den kommenden Jahren durch ihren kometenhaften Aufstieg auf dem Olymp
angekommen sein dürfte.
Die Ausgangssituation ist eine etwas andere. Wir befinden
uns nicht mehr in der Welt, in der Mary-Jane Parker „the girl next door“ ist.
Hier gehört Peter Parkers Herz Gwen Stacey, die in den verschiedensten
Comicreihen nicht selten die Hauptrolle übernimmt.
Und damit wären wir auch schon an einem Punkt angekommen,
den man dem Reboot zugute halten kann. Als Heath Ledger nach den Dreharbeiten
zu „The Dark Knight“ verstarb, häuften sich Gerüchte um eine Besetzung der Rolle
im Folgefilm „The Dark Knight Rises“ (der Joker taucht allerdings nicht mehr
auf). Irgendwann war die Diskussion an einem Punkt angelangt, man könne einem
anderen Schauspieler die Rolle geben, schließlich unterscheidet sich das
Aussehen einer Figur auch in den Comicheften. So sinnlos diese Alternative in
der Nolan – Reihe gewesen wäre, so berechtigt ist sie im Fall von „The Amazing
Spider-Man“.
Die Spinne ist eine der populärsten Comicfiguren überhaupt.
Wer einen flüchtigen Blick auf den Comicbuchmarkt wirft, entdeckt, dass es mehr
als eine regelmäßig erscheinende Reihe gibt. Und in jeder dieser Reihen
herrscht ein eigenes Universum. Die Figuren sehen anders aus, verschiedene
Handlungsstränge werden aufgezogen. So ist in der Reihe „Ultimate Spiderman“ Peter
Parker im vergangenen Jahr gestorben. In einem neuen Universum kann er dafür
frisch durchstarten. Auch wenn die Produktion eines Blockbusters etwas
aufwändiger ist als die eines Comicheftes, muss man sich einfach von dem
Gedanken lösen, dass der Film irgendetwas mit den Sam Raimi-Toby Maguire-Filmen
zu tun hat.
Und Webb gelingt es tatsächlich besser als erwartet, ein
neues Universum zu schaffen, das weit weg von den Raimis, Dark Knights und
Avengers stattfindet. Es scheint sogar, als würde er den Ton eines typischen
Comicheftes genau treffen.
Es wird mal wieder die sogenannte Origin-Story erzählt. Die
Geschichte, wie nach einem Spinnenbiss aus dem gewöhnlichen Menschen Peter
Parker ein durch die Lüfte fliegender Superheld wurde. Natürlich könnte man dem
Film vorwerfen, dass es unnötig wäre, wieder bei null anzufangen. Allerdings
erhofft man sich auf dieser Schiene eine neue Filmreihe aufzubauen, und da wir
uns in einem neuen Universum befinden, gibt es genügend Freiheiten, diesen
Anfang neu auszulegen, was Webb problemlos gelingt.
Auch das Schülerdasein geht dieser Figur leichter von der
Hand. Da gibt es natürlich den Rüpel, den Bully, der einen Heidenspaß hat, das
Leben der Nerds schwieriger zu machen, als es sowieso schon ist. Dennoch
gelingt Garfield, nie als mitteloser Trottel dazustehen. Vielmehr ist der Peter
Parker in der Darstellung von Andrew Garfield eine Art moderner Marty McFly,
der nicht immer ganz obenauf ist, aber in den wichtigen Momenten einen kühlen
Kopf bewahrt.
Wer Webb’s Erstling „(500) Days of Summer“ kennt, wird vor
allem das Zusammenspiel von Handlung und Musik zu schätzen wissen. Und wer sich
die Frage gestellt hat, wie sehr sich Neuling Webb von den großen
Hollywoodbossen hat verbiegen lassen, wird schnell eines besseren belehrt.
Neben den bekannten Luftsprüngen Spider-Man’s durch den Großstadtdschungel legt
er auch Wert auf das Zwischenmenschliche. Peter Parks Gang durch die Schulflure
bis hin zu Gwen Stacey mit The Shins’ „No Way Down“ unterlegt. Oder seine
ersten Versuche samt Skateboard in einer alten Fabrikhalle zu Coldplay’s „Til
Kingdom Come“. Definitiv eine Bereicherung für den Film.
Emma Stone überzeugt, natürlich, wie sie es bisher in jedem
ihrer Filme getan hat. Sie legt die Figur geschickt an, ein Vergleich zu Dunst’s
Mary-Jane ist nicht nötig. Im Gegenteil zu den anderen Handlungssträngen
erfährt Stone’s Gwen Stacey hier sehr schnell, welche Doppelrolle ihr neuer
Freund Peter Parker spielt und bekommt dabei einen ganz neuen Platz in der
Figurenkonstellation.
Denis Leary spielt den Polizeichef, und Stacey’s Vater, der
nicht nur sehr irritiert vom ersten Auftritt Parkers beim gemeinsamen
Abendessen ist, sondern auch nicht viel auf Spider-Man hält. Auch Sally Field
als Tante May ist eine große Bereicherung für den Film, auch wenn es scheint,
dass man sie zwischendurch vergessen hätte. Als würde sie sich keine Sorgen
machen, ihren Peter tagelang nicht zu sehen, während die ganze Stadt
zusammenfällt.
„The Amazing Spider-Man“ trifft den richtigen Ton, hebt sich
von seinem Vorgänger aus dem Jahr 2002 ab und hat seine Daseinsberichtigung
mehr als verdient. Webb findet die Balance zwischen Humor und Ernst, Action und
Besinnung. Wenn der Film nach über zwei Stunden sein relativ offenes Ende
findet, möchte man am liebsten weiterschauen. Die Besucherzahlen sprechen
dafür. Hoffen wir, dass Hollywood den Wink versteht und schnell nachlegt, so
lange Webb, Garfield und Stone noch die Frische in ihre Arbeit legen können,
die die Filme sehenswert macht.
9/10
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