Jochen Rathmann's Bücher

Mittwoch, 18. Juli 2012

[Filmkritik] The Amazing Spider-Man



Brauchen wir wirklich ein Reboot des Spiderman – Franchises? Nein! Sam Raimi hat uns zwei wunderbare Filme und einen fragwürdigen dritten Teil geschenkt, die eigentlich fürs erste reichen sollten. Denkste! Hollywood richtet sich nur selten nach seinen Zuschauern, hat aber in den meisten Fällen den längeren Atem.

Hier geht es in erster Linie um Attraktivität. Was kann uns ein neuer Film, der Start einer weiteren Reihe, bieten, was uns bisher gefehlt hat. In diesem Punkt hat der Film einiges im Angebot. Lassen wir einmal Rhys Ifans außen vor, ein großartiger Schauspieler, der in die Rolle des Bösewichts schlüpft.

Es ist das neueste Werk von Regisseur Mark Webb, der unmittelbar auf seinen modernen Klassiker „(500) Days of Summer“ folgt. Ein Film, mit dem er so unerwartet aber so berechtigt Hollywood im Sturm erobert hat.
Hinzu kommt die Besetzung von Emma Stone. Eine Schauspielerin, die momentan noch in der Nachwuchsriege einzustufen ist, aber in den kommenden Jahren durch ihren kometenhaften Aufstieg auf dem Olymp angekommen sein dürfte.

Die Ausgangssituation ist eine etwas andere. Wir befinden uns nicht mehr in der Welt, in der Mary-Jane Parker „the girl next door“ ist. Hier gehört Peter Parkers Herz Gwen Stacey, die in den verschiedensten Comicreihen nicht selten die Hauptrolle übernimmt.

Und damit wären wir auch schon an einem Punkt angekommen, den man dem Reboot zugute halten kann. Als Heath Ledger nach den Dreharbeiten zu „The Dark Knight“ verstarb, häuften sich Gerüchte um eine Besetzung der Rolle im Folgefilm „The Dark Knight Rises“ (der Joker taucht allerdings nicht mehr auf). Irgendwann war die Diskussion an einem Punkt angelangt, man könne einem anderen Schauspieler die Rolle geben, schließlich unterscheidet sich das Aussehen einer Figur auch in den Comicheften. So sinnlos diese Alternative in der Nolan – Reihe gewesen wäre, so berechtigt ist sie im Fall von „The Amazing Spider-Man“.

Die Spinne ist eine der populärsten Comicfiguren überhaupt. Wer einen flüchtigen Blick auf den Comicbuchmarkt wirft, entdeckt, dass es mehr als eine regelmäßig erscheinende Reihe gibt. Und in jeder dieser Reihen herrscht ein eigenes Universum. Die Figuren sehen anders aus, verschiedene Handlungsstränge werden aufgezogen. So ist in der Reihe „Ultimate Spiderman“ Peter Parker im vergangenen Jahr gestorben. In einem neuen Universum kann er dafür frisch durchstarten. Auch wenn die Produktion eines Blockbusters etwas aufwändiger ist als die eines Comicheftes, muss man sich einfach von dem Gedanken lösen, dass der Film irgendetwas mit den Sam Raimi-Toby Maguire-Filmen zu tun hat.

Und Webb gelingt es tatsächlich besser als erwartet, ein neues Universum zu schaffen, das weit weg von den Raimis, Dark Knights und Avengers stattfindet. Es scheint sogar, als würde er den Ton eines typischen Comicheftes genau treffen.

Es wird mal wieder die sogenannte Origin-Story erzählt. Die Geschichte, wie nach einem Spinnenbiss aus dem gewöhnlichen Menschen Peter Parker ein durch die Lüfte fliegender Superheld wurde. Natürlich könnte man dem Film vorwerfen, dass es unnötig wäre, wieder bei null anzufangen. Allerdings erhofft man sich auf dieser Schiene eine neue Filmreihe aufzubauen, und da wir uns in einem neuen Universum befinden, gibt es genügend Freiheiten, diesen Anfang neu auszulegen, was Webb problemlos gelingt.

Auch das Schülerdasein geht dieser Figur leichter von der Hand. Da gibt es natürlich den Rüpel, den Bully, der einen Heidenspaß hat, das Leben der Nerds schwieriger zu machen, als es sowieso schon ist. Dennoch gelingt Garfield, nie als mitteloser Trottel dazustehen. Vielmehr ist der Peter Parker in der Darstellung von Andrew Garfield eine Art moderner Marty McFly, der nicht immer ganz obenauf ist, aber in den wichtigen Momenten einen kühlen Kopf bewahrt.

Wer Webb’s Erstling „(500) Days of Summer“ kennt, wird vor allem das Zusammenspiel von Handlung und Musik zu schätzen wissen. Und wer sich die Frage gestellt hat, wie sehr sich Neuling Webb von den großen Hollywoodbossen hat verbiegen lassen, wird schnell eines besseren belehrt. Neben den bekannten Luftsprüngen Spider-Man’s durch den Großstadtdschungel legt er auch Wert auf das Zwischenmenschliche. Peter Parks Gang durch die Schulflure bis hin zu Gwen Stacey mit The Shins’ „No Way Down“ unterlegt. Oder seine ersten Versuche samt Skateboard in einer alten Fabrikhalle zu Coldplay’s „Til Kingdom Come“. Definitiv eine Bereicherung für den Film.

Emma Stone überzeugt, natürlich, wie sie es bisher in jedem ihrer Filme getan hat. Sie legt die Figur geschickt an, ein Vergleich zu Dunst’s Mary-Jane ist nicht nötig. Im Gegenteil zu den anderen Handlungssträngen erfährt Stone’s Gwen Stacey hier sehr schnell, welche Doppelrolle ihr neuer Freund Peter Parker spielt und bekommt dabei einen ganz neuen Platz in der Figurenkonstellation.

Denis Leary spielt den Polizeichef, und Stacey’s Vater, der nicht nur sehr irritiert vom ersten Auftritt Parkers beim gemeinsamen Abendessen ist, sondern auch nicht viel auf Spider-Man hält. Auch Sally Field als Tante May ist eine große Bereicherung für den Film, auch wenn es scheint, dass man sie zwischendurch vergessen hätte. Als würde sie sich keine Sorgen machen, ihren Peter tagelang nicht zu sehen, während die ganze Stadt zusammenfällt.

„The Amazing Spider-Man“ trifft den richtigen Ton, hebt sich von seinem Vorgänger aus dem Jahr 2002 ab und hat seine Daseinsberichtigung mehr als verdient. Webb findet die Balance zwischen Humor und Ernst, Action und Besinnung. Wenn der Film nach über zwei Stunden sein relativ offenes Ende findet, möchte man am liebsten weiterschauen. Die Besucherzahlen sprechen dafür. Hoffen wir, dass Hollywood den Wink versteht und schnell nachlegt, so lange Webb, Garfield und Stone noch die Frische in ihre Arbeit legen können, die die Filme sehenswert macht.

9/10

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