Jochen Rathmann's Bücher

Dienstag, 25. Oktober 2011

Die Schönheit des Nackten - Reinhard Mey in Saarbrücken


Es ist kurz vor 20 Uhr, der Saal ist gefüllt - Ausverkauft. Diejenigen, die auf ihren Plätzen sitzen werden von denjenigen belästigt, die ihren Platz ums Verrecken nicht finden wollen. An die in der Halle fixierte Tribüne hat man einen Fuß angebracht, dessen genaue Bezeichnung auf der Eintrittskarte „Rang“ lautet. Eine fünfzig Zentimeter Erhöhung legitimiert diesen Begriff. Diejenigen, die ihre teuren Karten mit der Bezeichnung „Innenraum“ erstanden haben, versuchten uns die Plätze streitig zu machen. Gleichzeitig schienen die ersten drei Reihen leer zu sein.

Die Bühne ist groß und vollständig abgedunkelt, in der Mitte steht eine Akustik - Gitarre, perfekt ausgeleuchtet. Punkt 8 betritt Reinhard Mey die Halle, durch den Seiteneingang, geht an der ersten Reihe vorbei, grüßt durch Handzeichen das Publikum, betritt die Bühne, legt die Gitarre an und eröffnet das rund dreistündige Konzert.
Bis auf eine kurze Pause nach über einer Stunde spielt er ohne Unterbrechung, er verzichtet auf eine große Bühnenshow oder zusätzliche Instrumente. Er macht das, was ein ordentlicher Liedermacher beherrschen muss: Das Publikum mit nichts anderem zu verzaubern, als mit der eigenen Kunst. Roh und ohne Schnickschnack. Auch wenn auf den Studioalben immer mal wieder Instrumente wie das Bass oder ein Akkordeon zu hören sind, so steht er als nackter Mann auf der Bühne. Keine harten Elektrobässe, hinter denen er sich verstecken könnte. Keinen Gitarrist, den er anspielen könnte. Versagt seine Stimme, bekommt es das Publikum ungefiltert zu spüren.
Natürlich gab es Momente, in denen er aus der Rolle fiel. Ein Publikumsliebling war definitiv das Lied „Ich bin“, in dem er alle Rollen aufzählt, die er als Mann und Vater in einer Familie innehat. Vom „Hausschwein, das von allen Tellern die Reste auffrißt“ bis zum „Der an der Haustür: „Tut mir leid, ist nicht zu Hause“- Sager“. Die Pointen steigerten sich, das Publikum ging mit, bis das Gelächter und der Szenenapplaus so laut wurden, dass er über dem Singen das Zupfen vergaß und mit der Bemerkung „Sie machen mich fertig“ einen Augenblick ausharrte, bis er und wir bereit für die Fortsetzung waren.
Dann gab es schlichtweg Momente, in denen er einen Textaussetzer hatte oder die Saiten falsch griff. Das Publikum störte es nicht, ihm selbst war es für den Moment sichtlich unangenehm, doch wem sollte es ernsthaft etwas ausmachen? Auch wenn die Phrase „Fehler sind menschlich“ bei weitem ausgeschöpft ist, zeugt es doch von stärke, diese zuzulassen. Er steht auf der Bühne, alleine, und gibt alles, was er hat. Die Wahrscheinlichkeit, nur mit einer Gitarre, jeden Fehler sichtbar werden zu lassen ist enorm präsent. dennoch verzichtet er auf jegliche künstliche Inszenierung und lässt die Kunst sprechen. Ein starker Auftritt.

Im Anschluss nahm er an einem alten, breiten Holztisch Platz und unterschrieb alles, was man ihm vor die Nase hielt. Bücher, Eintrittskarten und Programmhefte. Mit stolzen 68 Jahren, am späten Abend während einer langen und anstrengenden Tour, man hätte Verständnis dafür, wenn er die Ruhe bräuchte. Doch für seine Fans, so scheint es, kann er gar nicht genug tun.


Reinhard Mey, am 07.10.2011 in der Saarlandhalle mit seiner „Mairegen“ -Tour

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